Der folgende Text entstammt meinem Vortrag auf der Schulen-ans-Netz-Konferenz in Bonn, 1997.
Lassen Sie uns also einige Betrachtungen anstellen über eine Kulturtechnik, von der in einer Abhandlung über öffentliche Gesundheit gewarnt wird, dass ihr exzessiver Einsatz folgende Auswirkungen haben wird: „...eine Anfälligkeit für Erkältungen, Kopfschmerzen, Schwächung der Augen, Hitzewallungen, Gicht, Arthritis, Asthma, Schlaganfall, Atemwegserkrankungen, Verdauungsstörungen, nervöse Störungen, Migräne, Epilepsie, Hypochondrie und Melancholie“.
Weiterhin wird von dieser Kulturtechnik gesagt, sie mache die Menschen sozial
dysfunktional, und sie würde an die Stelle des direkten zwischenmenschlichen
Kontaktes treten und letzten Endes die Gesellschaft zu einer Ansammlung amtlich
beglaubigter Außenseiter machen.
Inzwischen ist schon längst
offensichtlich, von welcher Kulturtechnik hier die Rede ist: vom LESEN.
In der Tat wurde bei uns in
Deutschland im Jahre 1795 in einer entsprechenden Abhandlung vor den Gefahren
des habituellen Lesens gewarnt. Den Menschen wurde allen Ernstes geraten, nicht
unmittelbar nach dem Essen zu lesen und wenn schon, dann nur im Stehen, um
Verdauungsstörungen vorzubeugen. Gewohnheitsmäßigen Lesern wurde ferner
frische Luft, häufige Spaziergänge und regelmäßiges Waschen des Gesichtes
mit kaltem Wasser angeraten, um die Schäden wenigstens in Grenzen zu halten.
Ebenfalls im 18. Jahrhundert bemerkte der französische Enzyklopädist Diderot:
„Die Druckerpresse, die niemals stillsteht, wird riesige Gebäude mit Büchern
füllen, in denen Leser gar nicht mehr viel lesen werden. [...] Letztendlich
wird die Welt des Lernens – unsere Welt – in einem Meer von Büchern
ertrinken.“
Die obigen Beispiele finden sich
in einer Rede, die der Präsident der renommierten Harvard University, Neil
Rudenstine, im Mai 1996 anlässlich der Harvard Konferenz zu Internet und
Gesellschaft gehalten hatte. Kulturpessimismus dieser Art trat erneut 100 Jahre
später auf, als im ausgehenden 19. Jahrhundert Studien- und
Forschungsbibliotheken an den Universitäten einen für damalige Verhältnisse
atemberaubenden Zuwachs erlebten. 1876 beklagt sich einer von Rudenstines
Amtsvorgängern, Charles Eliot, dass es in Harvard immer schwieriger werde, die
rapide Zunahme von Neuzugängen in den Griff zu bekommen. Der Geamtbestand umfasste
damals aber gerade erst einmal 42.000 Bände. Man räsonierte darüber, wie die
Bibliotheksbücher in den Lehrbetrieb integriert werden könnten. Man sah größte
Probleme voraus, wenn nur ein oder zwei Bände von einem Werk vorhanden waren,
das 50 oder 60 Studenten für den Seminarbetrieb gelesen haben sollten. Schon
damals wurde auch die Gefahr heraufbeschworen, die Studenten könnten angesichts
der Fülle von Informationen zu einem Thema, alles verstreut über zahllose Bände
und Regale, Tage in den Bibliotheken zubringen, mit immer deutlicherer
Inkompetenz in der Trennung von wichtigen und irrelevanten Informationen und
schlussendlich doch nicht mehr als nur ein Fragment der tatsächlich vorhandenen
Information erfassen.
Parallelen aus der Geschichte
sind niemals völlig exakt, aber die beiden von Rudenstine aufgeführten
Beispiele des einsamen Lesens und der universitären Forschungsbibliotheken
haben doch eine offensichtliche Relevanz für die modernen
Informationstechnologien. Viele der heutzutage über elektronische
Informationsquellen geäußerten Bedenken und Sorgen wird man mit einem Hinweis
auf eben diese Beispiele als nicht substanziell, zumindest aber als nicht
internet- oder multimediaspezifisch bezeichnen müssen. Auch bei den herkömmlichen
Massenmedien gab und gibt es die Trivialität vieler angebotenen Informationen,
die Möglichkeit des Abgelenktwerdens und Zeitvergeudens, Befürchtungen um die
psychische und physische Gesundheit der Menschen, die Schwierigkeit des
Unterscheidens zwischen essenzieller und nebensächlicher Information und schließlich
auch ein gerüttelt Maß an Schund und Schmutz.
An dieser Stelle ist die wesentlich tiefer gehende Frage angebracht, warum das Internet als Instrument für echte Erziehung einen Siegeszug antreten wird, während eine ähnliche Entwicklung beispielsweise dem Radio und dem Fernsehen vorenthalten blieb.
Es wird heute soviel geforscht
wie nie zuvor: 90% aller forschenden Wissenschaftler, die jemals gelebt haben,
leben in der Gegenwart. Diese Forschungsarbeit schlägt sich konsequenterweise
nieder in einer entsprechend hohen Dichte von wissenschaftlichen Veröffentlichungen.
Beispielsweise wuchs die Anzahl der wissenschaftlichen Zeitschriften in den
letzten fünf Jahren um über 25% auf ca. 150.000 Titel. Ein weiterer sehr
deutlicher Vergleich: 1965 erschienen ca. fünf Millionen wissenschaftliche Veröffentlichungen;
heute sind es zwischen 15 - 20 Millionen. Diese enorme Forschungstätigkeit und
die Publikation ihrer Ergebnisse sind dafür verantwortlich, dass sich unser
Wissen etwa alle sechs Jahre verdoppelt. Durch jeweils neue Erkenntnisse wird
jedoch „altes“ Wissen entwertet. Zahlen dieser Art dokumentieren nur zu
augenfällig, dass „lifelong learning“ für sehr viele Tätigkeitsfelder
unabdingbar wird. Gleichzeitig wird unverzichtbar, „dass der Umgang mit
wissenschaftlicher Literatur, Daten und Fakten auch aus elektronischen Quellen
ein Element der Hochschulreife wird“ und mit Sicherheit ist dies auch
mittelfristig an allen allgemein- und berufsbildenden Schulen zu vermitteln und
einzufordern.
Internet-Dienste und
(Multimedia-) CD-ROMs erfeuen sich – zumindest dem Namen nach – bereits
eines leidlich hohen Bekanntheitsgrades, wenngleich auch aktuelle Repräsentativumfragen
bezüglich der tatsächlichen Computernutzung eine noch ziemlich eindeutige
Sprache sprechen: Nur 12% aller Befragten geben an, sich regelmäßig, d.h.
mindestens einmal pro Woche mit dem eigenen Computer zu beschäftigen (6% der
Frauen; 19% der Männer). Über die Hälfte derjenigen, die mit Ja geantwortet
hatten, sind der Altersgruppe 14-24 Jahre zuzuordnen. Blickt man dann auf die
konkreten Arten des Computereinsatzes, stellt sich das Bild noch ernüchternder
dar: Den größten Anteil an praktischer Verwendung nimmt mit 17% erwartungsgemäß
der Bereich Textverarbeitung ein. Nur 2% der befragen Bundesbürger arbeiten
regelmäßig mit Internet oder Online-Diensten.
Anfang 1997 gab es einen
weltweiten Bestand von 8.566 Online-Datenbanken, von denen fast die Hälfte aus
dem Bereich Wirtschaftsinformation und Wirtschaftswissenschaften stammt (4.043).
Datenbanken zum Gebiet Naturwissenschaften, Technik und Patente folgen an
zweiter Stelle (1.687), Datenbanken mit juristischem Inhalt liegen auf Platz 3
(1.146). Erst an vierter Stelle und mit einem enormen Rückstand folgen
Datenbanken zu den Geistes- und Sozialwissenschaften (378).
Alle diese traditionellen Hosts
können fast ausnahmslos nur gegen ein Benutzungsentgelt von Kunden mit eigenem
Account und Passwort verwendet werden und kommen daher für die begrenzten
Budgets der Sachaufwandsträger von Schulen in der Regel (noch) nicht in Frage,
wobei allerdings nicht ausgeschlossen ist, dass in absehbarer Zeit von den
Kultusbehörden einzelner Bundesländer Sammelverträge mit solchen Hosts
abgeschlossen werden, die dann allen betreffenden Schulen einen kostenlosen
Zugang ermöglichen. Eine Ausnahme bilden ab diesem Jahr schon eine Reihe der
bedeutendsten deutschen und internationalen Datenbanken, die zumindest den vom
Bundesbildungsministerium geförderten Modellschulen, u.a. auch meiner Schule,
dem Chiemgau-Gymnasium Traunstein, unentgeltliche Zugänge zu ihren Datenbeständen
ermöglichen:
DIMDI (Deutsches Institut für medizinische Dokumentation
und Information)
FIZ Technik (Fachinformation Technik e.V.)
GBI (Gesellschaft für Betriebswirtschaftliche Information
mbH)
JURIS (Juristisches Informationssystem für die
Bundesrepublik Deutschland)
STN International (The Scientific & Technical
Information Network) – Fachinformationszentrum Karlsruhe
LEXIS-NEXIS Information Services GmbH (Volltextdatenbank
mit u.a. über 6.000 Zeitungen und Zeitschriften und Nachrichtenagenturen)
Eine Reduktion des WWW auf eine
gigantische, oft triviale, mindestens aber statische Informationsquelle, die
rein additiv neben anderen traditionellen Informationsquellen steht, wird dem
Potenzial dieses Mediums nicht gerecht. „Das Internet ist nicht Fernsehen im
Netz, es ist Telefon im Netz.“ Konsequenterweise wird das Internet – im
Gegensatz z.B. zum Fernsehen – aus dem einfachen Grund in Bildung und
Erziehung Einzug halten, weil die Schüler im Internet all das weiterführen können,
was sie in eher traditionellen Formen des Lernens in ähnlicher Weise tun: Das
Internet ist auch ein Klassenzimmer im Netz, eine Bücherei, ein Seminar, eine
Gesprächsrunde, ein Labor und schließlich auch ein schriftliches Referat im
Netz. Usenet, E-Mail und Mailinglisten gehören zum integralen Teil der Arbeit
mit „dem Internet“, und hier wird permanent Wissen weitergegeben,
selektiert, in Beziehung gesetzt und ergänzt – ein sehr dynamischer und
konstruktiver Vorgang, der die Chance in sich birgt, eine Veränderung der
Lernkultur bewirken zu können.
Wenn in der Wirtschaft seit
einigen Jahren von Wissensmanagement
die Rede ist, so versteht man darunter ein planvoll einsetzbares Instrument zur
Lenkung von Informationsflüssen und zur Vermehrung des kollektiven Wissens (Schüppel,
1996). Die Begriffe Information und Wissen
dürfen dabei nicht undifferenziert miteinander vermengt werden. In der Schule können
wir uns nicht darauf beschränken, Informationen zu vermitteln. Es geht um
verarbeitete Informationen, die erst eben durch diese Verarbeitung, Vernetzung,
Bewertung, Reflexion und Einbettung in Kontexte zu Wissen
werden.
Derzeit existiert anscheinend
keine opinio communis zu der Frage, wie Wissensmanagement nun genau zu
definieren sei. Auch erklärt bislang keine wissenschaftliche Disziplin das
Wissensmanagement zu ihrem ureigensten Hoheitsgebiet. Genau genommen beginnt das
Wissensmanagement auch noch dazu nicht beim bereits gestalteten Wissen, sondern
schon bei der Fülle der erst zu verarbeitenden Informationen, so dass schon der
erste Teil dieses neologistischen Kompositums unscharf verwendet ist. Erst recht
ist der Management-Begriff per se ungeeignet, hier definitorisch klärend zu
wirken. Das Wissensmanagement wird also eine eher praxisorientierte,
multidisziplinäre Bündelung von Aktivitäten und Fähigkeiten werden, wie die
Münchener Wissenschaftler Mandl und Reinmann-Rothmeier in einem Artikel
herausstellen:
„ – Informationen verbreiten,
– Informationen selektieren und bewerten, – Informationen in einen Kontext
einbetten und mit Bedeutung versehen, – aus Informationen Wissen konstruieren,
– Wissensinhalte miteinander verknüpfen und Wissensnetze bilden, – Wissen
weitergeben, vermitteln und verteilen, – Wissen austauschen und gegenseitig
ergänzen, – Wissen anwenden und umsetzen, – wissensbasiertes Handeln
bewerten und daraus neues Wissen entwickeln.“
Beide Autoren betonen nachdrücklich,
dass zum Wissensmanagement auch die Fähigkeit gehört, „die vorhandenen
technischen Ressourcen zu nutzen“. Für den Schulalltag bedeutet dies konkret,
dass die Fähigkeit, Wissen und Informationen auch (!) aus digitalen Quellen
erhalten und „handhaben“ zu können, unter sonst gleichen Bedingungen eine
jeweils größere Kompetenz an Wissensmanagement bedeutet als wenn dies eben
nicht der Fall ist. Konsequenterweise ist die Wissensmanagementskompetenz eines
Menschen umso größer, je breiter und ausgeprägter das Spektrum der ihm zur
Verfügung stehenden oben genannten Fähigkeiten ist. Es kann weder für Lehrer
noch für Schüler in Zukunft angehen, Wissen einmal zu erwerben
und dann zu haben. Dieses Wissen muss,
weil es sich durch die oben angesprochene explosive Ausbreitung eben nicht mehr
statisch festmachen lässt, in Eigeninitiative und in Kooperation mit anderen
„gehandhabt“ werden – und dazu wird auch das Wissen um die technologischen
Möglichkeiten im Bereich des Wissensmanagements gehören. Inkompetenz in diesem
Bereich wird im Beruf ebenso wenig toleriert werden können, wie fachliche
Inkompetenz.
Wenn sich das so vehement
geforderte „lebenslange Lernen“ vom schulischen Lernen nicht grundsätzlich
unterscheiden darf (denn wann sonst, wenn nicht in der Schule sollte man schließlich
„das Lernen lernen“?), dann bedarf es eines konstruktivistischen Neuansatzes
im Lehren und Lernen. Der Lernende darf nicht in seiner eher passiv-rezeptiven
Rolle des Wissensempfängers, geführt vom aktiven Wissensverteiler „Lehrer“
belassen werden. Lernen ist ein aktiver, selbstgesteuerter, konstruktiver
Vorgang. In der Pädagogik und der Pädagogischen Psychologie werden dazu einige
Grundprinzipien gefordert:
Lernen erfolgt situations- und kontextgebunden
(Authentizität)
unter multiplen Perspektiven lernen
Lernen ist ein aktiver, konstruktiver und sozialer Prozess
Nun
wäre es jedoch ein Missverständnis, anzunehmen, dass die geforderte Authentizität
des Lernens z.B. im Religionsunterricht schon allein durch Lesen und Besprechen
kopierter Originaltexte von Theologen und Philosophen oder Betrachten von Fotos
aus dem Land Palästina gegeben sei. Richtig verstandene Authentizität bedeutet
auch und sogar in besonderem Maß Authentizität des Lernanlasses und der
weiteren Lernphasen. Wenn sich Schüler also z.B. mit ethischen Fragen der
Genmanipulation befassen, weil „es im Lehrplan steht“ und/oder weil der
Lehrer in der nächsten Stunde darüber „ausfragen“ wird, so ist dies nicht
gerade ein Höchstmaß an Authentizität der Gesamtsituation. Beschäftigen sie
sich hingegen mit eben diesen Fragen, weil sie ihre Ergebnisse im Rahmen eines
Referates vorstellen, in der Schülerzeitung oder auf einer Web-Page veröffentlichen
wollen oder in einem E-Mail-Projekt mit Schülern einer anderen Schule teilen
oder sogar im Internet als Unterrichtsmaterial veröffentlichen wollen, so wird
die gesamte Lernsituation wesentlich authentischer.
Eine ganz neue Möglichkeit der
Kombination von Literaturrecherche, -bestellung und -beschaffung bietet seit
Oktober 1997 subito, der
Dokument–Lieferdienst der deutschen Bibliotheken (http://www.subito–doc.de).
Über die Internet-Homepage von subito führen Links zu den Bestellsystemen. Die
Lieferung der Dokumente kostet bei bis zu 20 Seiten DM 5,– , wenn die
Lieferung elektronisch per E-Mail oder FTP erfolgt. Bei Lieferung per Post kommt
ein Zuschlag von DM 3,– und bei Lieferung per Fax ein Zuschlag von DM 5,–
hinzu. Zu den Lieferanten von subito
gehören diverse Universitätsbibliotheken sowie die Bayerische
Staatsbibliothek, die – was die Anzahl der verwalteten Zeitschriften anbelangt
– bei weitem führende Bibliothek Deutschlands.
Natürlich kann diese
„Literatur“ auch gegebenenfalls über entsprechende CD–ROMs beschafft
werden. Derartige Artikelsammlungen auf CD-ROM, gibt es auch von deutschen
Tageszeitungen, wie der Süddeutschen Zeitung, der Frankfurter Allgemeinen
Zeitung oder auch der Berliner TAZ.
Eine Unterrichtsstunde zur
Verantwortungsethik des Philosophen und Religionswissenschaftlers Hans Jonas mit
einem im Schulbuch abgedruckten Exzerpt einer seiner Schriften, mit einer
inhaltlichen Zusammenfassung und einer Lernzielkontrolle durch einige Fragen am
Ende der Stunde kann nicht gerade den Anspruch erheben, unter multiplen
Perspektiven vorzugehen. Warum stattdessen nicht einmal eine
Internet-Suchmaschine bemühen und jeden Schüler oder mindestens verschiedene
Arbeitsgruppen unterschiedliche Fundstellen zum Suchbegriff „Hans Jonas“
recherchieren und auf ihre inhaltliche Relevanz überprüfen lassen? Eine andere
Gruppe könnte in der Zwischenzeit in einer Datenbank wie LEXIS-NEXIS
recherchieren und sich daran machen, die wichtigsten Zeitungsartikel von und über
Hans Jonas auszuwerten. Eine weitere Gruppe würde CD-ROMs durchforsten und
dabei herausfinden, dass in der aktuellen Multimedia Enzyklopädie DISCOVERY
von Bertelsmann ein Foto und
ein kurzes Tondokument von Hans Jonas vorhanden sind. Statt einer
Lernzielkontrolle durch Abfragen, könnten die Schüler aufgefordert werden, prägnante
Textpassagen in den Zwischenspeicher des Computers zu kopieren, um sie dann in
ihr Textverarbeitungsprogramm einzufügen und schließlich ihr Lern- und
Arbeitsblatt zu Hans Jonas selbst zu erstellen. Der Lehrer kann den Schülern
den zusätzlichen Hinweis geben, sie mögen den Text zweizeilig und mit breitem
Rand editieren, da das Textblatt auf diese Weise Raum für Rand- und
Interlinearnotizen gibt. Hier wird dann gegenüber einem Lehrbuchtext ein echter
„Mehr-Wert“ (added value) geschaffen. Vom zeitlichen Umfang her ist diese
gesamte Vorgehensweise zwar aufwendiger (ca. zwei Schulstunden statt einer),
jedoch gleichzeitig für die Beteiligten auch ergiebiger als eine herkömmliche
instruktionalistische Schulstunde.
Die beiden Wochenstunden unseres
Modellprojekt-Unterrichts in Religion finden ausschließlich im Computerraum
statt, wodurch wir für den Einsatz von CD-ROMs, Internet und Online-Datenbanken
dementsprechend optimale Bedingungen vorfinden. Wenn nun beispielsweise nach
einem Referat zu Jean-Paul Sartres dezidiert atheistischem Existentialismus die
Frage auftaucht, warum es dann auch den im Referat angesprochenen christlichen
Existenzialismus Kierkegaards geben kann, so könnte der Lehrer hier schnell in
seine angestammte Rolle als Verteiler von Wissen steigen und die Frage ganz
einfach beantworten. Er könnte aber auch eine Gruppe von Schülern beauftragen,
mit Hilfe von Microsoft Encarta diese Frage zu klären. Diese werden dann sehr
schnell mit dem Suchwort „Existenzialismus“ auf einen einschlägigen Artikel
stoßen. Sie werden ferner, da es sich um einen relativ langen Artikel handelt,
das Fenster „Gliederung“ aufklappen und dort sowohl Kierkegaard
als auch die Antwort auf die Frage finden. Die Schüler werden sodann die
entsprechende Textstelle markieren und mit einem Bild Kierkegaards auf dem
Laserdrucker eine Overhead-Folie ausdrucken, die sie der Klasse anschließend präsentieren.
– Authentisches Wissensmanagement von und durch Schüler.
Normalerweise ist eine Veröffentlichung
das Ende eines Prozesses: Das Buch wird gedruckt und verkauft; der Verfasser
wendet sich einem anderen Projekt zu. Setzt man das Web im pädagogischen
Bereich jedoch richtig ein, ist die Veröffentlichung einer Projektarbeit von
Schülern erst der Anfang eines Prozesses. In ihrem richtungsweisenden Artikel
aus dem Jahre 1989 berichten die Telekommunikationspioniere Margaret Riel und
Moshe Cohen,
dass
Schüler, die für eine weit entfernte Leserschaft schrieben, in ihren Arbeiten
bessere Resultate erzielten, als eine Kontrollgruppe, die dies nur für ihren
Lehrer (und für gute Noten!) tat. Die Schüler setzten sich automatisch einen höheren
Standard, was die Genauigkeit und Zuverlässigkeit ihrer Aussagen anbelangte.
Beim Lehrer waren sie offensichtlich häufiger und früher geneigt, zu
unterstellen, er werde im Endeffekt schon wissen, wovon die Rede sei.
Der Möglichkeiten im Bereich
Kommunikation gibt es genügend: Schulpartnerschaften, E-Mail-Projekte, offene
Mailinglisten, Austausch in fachspezifischen Newsgroups, Teilnahme an Netmeeting-Konferenzen. Eine der
vielversprechendsten Initiativen, die WebPublishing mit internationaler
Kommunikation verbindet, ist ThinkQuest, der weltgrößte
Internet-Lernwettbewerb. Bei diesem Wettbewerb, zu dem Schülerteams zwischen 12
- 19 Jahren zugelassen sind, geht es darum, Lern- und Unterrichtsmaterialien zu
produzieren und über den ThinkQuest Server in Armonk, New York Schülern auf
der ganzen Welt zur Verfügung zu stellen. Die teilnehmenden Schüler, ihre
Betreuungslehrer (=Coaches) und auch ihre Schulen können dabei Preise im
Gesamtwert von über einer Million Dollar gewinnen.
Das Interessante an den Regeln
zu diesem Wettbewerb ist, dass ein Schülerteam (2 - 3 Schüler) nur dann
wirklich in die Spitzengruppe aufrücken kann, wenn die Teammitglieder aus
verschiedenen Ländern stammen und dadurch die in konstruktivistischen
Bildungstheorien so hoch eingeschätzten Gedanken der Zusammenarbeit, der
Aktivität, des authentischen und multiperspektivischen Lernens quasi
automatisch verwirklichen.
Weitere deutsche Informationen
zu ThinkQuest http://www.thinkquest.org
. Die deutschsprachigen Wettbewerbsbedingungen sind unter http://www.thinkquest.de
nachzulesen.
Literatur:
Neil Rudenstine, The
Internet is Changing Higher Education, in: American
Studies Journal, Nr. 39 (1996)
Jeffrey R. Young, Classes
on the Web, in: American Studies Journal,
Nr. 39 (1996)
SCIENTIFIC
CONSULTING Dr. Schulte-Hillen GmbH, Köln 1997
Projektausschreibung
des Modellprojektes 6: Nutzung elektronischer Informationsquellen;
Bildungsinitiative „Schulen ans Netz“. Siehe auch: Information als Rohstoff
für Innovation. Programm der Bundesregierung 1996 - 2000, Bonn 1996,
B.A.T.
/ Freizeit-Forschungsinstitut 1997; Repräsentativbefragung von 3.000 Personen
ab 14 Jahren.
Literaturdatenbanken DIMDI: AIDSLINE, BIOETHICSLINE,
CANCERLIT, HEALTHSTAR, MEDLINE, TOXILINE (www.dimdi.de).
Esther
Dyson, Content in der Krise, in: Global
Online 10 (1997)
Heinz
Mandl und Gabi Reinmann-Rothmeier, Wissensmanagement in der Schule, in: Profil
10 (1997). (Von beiden Autoren ist z.Zt. auch ein Buch zu Wissensmanagement in
Druck. )
Stefan Aufenanger (Universität Hamburg) und Michael
Hannafin (University of Georgia, Athens, Georgia) in Vorträgen auf dem
Symposium „Multimedia und Internet – neue Perspektiven für die Bildung“
auf der SYSTEMS ’97 in München, 27.
Oktober
1997.
Moshe Cohen and Margaret
Riel, The Effect of Distant Audiences on Students’ writing, in: AERA
Journal, Summer 1989